Ach, du liebe Zeit

* Ach, du liebe Zeit, ach, du liebe Zeit, keiner hat mehr für die Liebe Zeit.
* Er schlug die Augen zu.
* Sein erster Gedanke galt dem zweiten, der sich nicht einstellen wollte.
* Destillieren Sie einen Hauch Phantasie aus Ihrem Tun.
* Je mehr Vorsorge, desto heilloser das Wirrsal.
* Früher konnte ich mir im Spiegel selber zuzwinkern, auch ohne Spiegel.
* Im Lande Herzeleid, da bin ich eingeschneit.
* Freund, du musst das Übersehen lernen!
* Wozu bloß bin ich geboren? Wenn ich’s nur wüßte. – Zum Schuhlöffelsammler?
* Es ist eine Zeit, zu lesen, und es ist eine Zeit, zu buchstabieren.
* Spannenlanger Hansel, nudeldicke Dirn, gehen wir in den Garten, schütteln wir die Birn’.

Aus: Peter Handke: Schnee von gestern, Schnee von morgen. 2025

WOU G´HEASTN DU HI?

WOU G´HEASTN DU HI?

Wird zur Begrüßung gefragt,
wenn nicht sicher –
wer vor einer steht.
Was heißen könnte:
Wo gehörst du hin?

Und fast klingt wie:

Wo
hörst
denn
du
hin?

Was das für ein Ort – fia a Uat – ist,
aus dem du kommst, fragst du
und hörst:

„Wo du her
kummst
schauts aus
wie in am Computerspül.“

Also: Wie man sich die Grenze in am –
einem Computerspiel vorstellen.

“DA STA” Natascha Gangl, Bachmannpreislesung 2025

Nachts

Ich wandre durch die stille Nacht,
Da schleicht der Mond so heimlich sacht
Oft aus der dunklen Wolkenhülle,
Und hin und her im Tal
Erwacht die Nachtigall,
Dann wieder alles grau und stille.

O wunderbarer Nachtgesang:
Von fern im Land der Ströme Gang,
Leis Schauern in den dunklen Bäumen
Wirrst die Gedanken mir,
Mein irres Singen hier
Ist wie ein Rufen nur aus Träumen.

Joseph von Eichendorff

Salzwasser

wenn sich zwei schiffe im wasser, wenn sich zwei fische im wasser, wenn sich zwei begegnen, die immer schon da waren, sich nähern, stören sie den strom.

ich aus dem bauch heraus, aus dem kopf, ins wasser. aus dem wasser, durchs wasser, am wasser entlang. durch den sand. ich getarnt als du. ich vervielfacht zu wir. du eigentlich ich. du welt. du, ach. du gesellschaft, oh! du ans meer, du vom meer weg, du von mir weg. zu mir hin, du und ich, eins.

im schwimmen nimmt der körper im regelfall keine bis kaum flüssigkeit auf, unabhängig davon wie trocken er ist. ich kraule in arbeit, du schmetterlingst in geld.

Greta Maria Pichler: Salzwasser, 2024

Ein neues Jahr

Und wieder hier draußen ein neues Jahr –
Was werden die Tage bringen?!
Wird’s werden, wie es immer war,
halb scheitern, halb gelingen?

Wird’s fördern das, worauf ich gebaut,
Oder vollends es verderben?
Gleichviel, was es im Kessel braut,
Nur wünsch‘ ich nicht zu sterben.

Ich möchte noch wieder im Vaterland
Die Gläser klingen lassen,
Und wieder noch des Freundes Hand
Im Einverständnis fassen.

Ich möchte noch wirken und schaffen und tun
Und atmen eine Weile,
Denn im Grabe auszuruhn,
Hat’s immer Not und Eile.

Ich möchte leben, bis all dies Glühn
Rücklässt einen leuchtenden Funken
Und nicht vergeht wie die Flamm‘ im Kamin,
Die eben zu Asche gesunken.

Theodor Fontane

Erkenne dich

Erkenne Dich selbst bedeutet nicht: Beobachte Dich. Beobachte Dich ist das Wort der Schlange. Es bedeutet: Mache Dich zum Herrn Deiner Handlungen. Nun bist Du es aber schon, bist Herr Deiner Handlungen. Das Wort bedeutet also: Verkenne Dich! Zerstöre Dich! also etwas Böses und nur wenn man sich sehr tief hinabbeugt, hört man auch sein Gutes, welches lautet: “um Dich zu dem zu machen, der Du bist.”

Franz Kafka, Oktober 1917 in *Kafka für Boshafte*

In the Highlands

Die Begrüßung immer, jedes Mal, ausnahmslos eingeleitet von einem Lächeln, das sich nicht nur über Helmuts Gesicht zog, sondern, ich hatte den Eindruck, den ganzen Mann erfasste: spürbare Freude und Freundlichkeit, Wohlwollen und Menschenliebe, eine weltumspannende Menschenliebe geradezu.

Wir hörten Bob Dylan.

Ich gehe durch die sonnenbeschienene Stadt, Dylans Highlands im Ohr und Helmut, der diesen Song besonders liebte, im Kopf. “Well my heart’s in the Highlands. I’m gonna go there when I feel good enough to go.”

Aus: Nachruf auf Helmut Gollner in Literatur und Kritik, Mai 2024, von Karin Peschka

Keinen Augenblick verstreichen lassen

Das idealistische Vorhaben, sich «die ganze Zeit» zu eigen zu machen und keinen Augenblick ungenutzt verstreichen zu lassen, relativiert Seneca aber sofort wieder – er selbst sei im Umgang mit der Zeit nicht perfekt. Seneca möchte nicht anklagen, sondern aufmerksam machen, dass es sich selbst dann noch lohne, sich mit der Zeit auseinanderzusetzen, wenn nicht mehr viel am Boden des Fasses übrig sei. (Vgl. EM, 6) Je früher, desto besser. Das wird bei der Lektüre offensichtlich. Aber auch wenn einem nicht mehr viel Zeit bleibt – und man weiss ja schliesslich nie wirklich, wie viel einem wirklich noch bleibt – ist jetzt der richtige Zeitpunkt, um damit zu beginnen.

Aus: Denkbrocken:  Zeit besitzen oder verlieren